Mieterstrom im bayerischen Mehrfamilienhaus: Photovoltaik als strategischer Baustein
Marktdynamik und Handlungsdruck
Im Großraum München steigen Netzentgelte, CO2-Kosten und regulatorische Anforderungen kontinuierlich. Gleichzeitig setzt die EU-Gebäuderichtlinie ambitionierte Grenzwerte für Neu- und Bestandsbauten. Diese Faktoren erhöhen den Druck auf Eigentümer sowie Betreiber, Energiekonzepte mit lokalem Bezug umzusetzen. Mieterstrom auf Basis von PV-Anlagen eröffnet hierbei die Möglichkeit, Stromkosten zu stabilisieren und ESG-Kriterien messbar zu erfüllen.
Gesetzliche Leitplanken und Anreizsysteme
Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG)
Mieterstrom gilt nach § 21 Abs. 3 EEG als Strom, der innerhalb desselben Gebäudes oder Quartiers erzeugt und verbraucht wird. Betreiber erhalten statt der regulären Einspeisevergütung einen Mieterstromzuschlag, der abhängig von der installierten Leistung derzeit zwischen 2,2 ct/kWh und 3,2 ct/kWh liegt. Einmal festgesetzt, bleibt der Zuschlag für 20 Jahre unverändert, während Neuanlagen einer jährlichen Degression unterliegen.
Spezifika in Bayern
Die Bayerische Bauordnung erleichtert seit 2021 die Installation von Dach-PV durch reduzierte Abstands- und Anzeigepflichten. Netzbetreiber müssen binnen acht Wochen nach vollständigem Antrag den Netzanschlussbescheid ausstellen. Für das Stadtgebiet München bietet der zuständige Netzbetreiber ein vereinfachtes Verfahren bis 30 kWp; größere Anlagen erfordern eine detaillierte Netzverträglichkeitsprüfung.
Technische und wirtschaftliche Grundlagen
Auslegung der PV-Anlage
Ziel ist eine möglichst hohe Eigenverbrauchsquote. Ein Mehrfamilienhaus mit 2 000 m² Wohnfläche weist einen jährlichen Strombedarf von etwa 60 000 kWh auf. Eine Anlage mit 75 kWp erzielt im Münchner Klima rund 72 000 kWh Ertrag. Ohne Lastmanagement lassen sich davon im Durchschnitt 55 % direkt nutzen. Durch zeitliche Verschiebung von Verbrauchern – beispielsweise Wärmepumpen oder Ladepunkte – kann die Quote über 70 % steigen.
Mess- und Abrechnungskonzepte
Das Energiewirtschaftsgesetz verlangt eine saubere Trennung zwischen Netzstrom und Eigenstrom. Am häufigsten wird das Modell der Summenzählung mit Unterzählern eingesetzt:
- Ein Hauptzähler erfasst die Gesamterzeugung und den Netzbezug.
- Unterzähler ordnen die Verbräuche den einzelnen Mietparteien zu.
- Digitale Zähler liefern Viertelstundenwerte, die automatisiert in Abrechnungssoftware einfließen.
Die Messdaten bilden zugleich die Grundlage für Ausgleichsenergiemeldungen gegenüber dem Übertragungsnetzbetreiber.
Investitionsbedarf und Finanzierungsoptionen
Für eine 75 kWp-Anlage inklusive Speicher, Zählertechnik und Planung sind Investitionen im niedrigen sechsstelligen Bereich üblich. Die Eigenkapitalrendite bewegt sich – abhängig von Zinsniveau und Dachausrichtung – zwischen 6 % und 8 % nach Steuern. Alternativ kann ein Contracting-Modell gewählt werden, bei dem ein Dienstleister die Hardware finanziert und betreibt; der Gebäudeeigentümer erhält dafür eine feste Pacht oder Gewinnbeteiligung.
Projektorganisation und Umsetzung
Machbarkeitsprüfung und Stakeholder-Einbindung
Eine initiale Studie untersucht Dachstatik, Verschattung, Brandschutz sowie Leitungswege. Parallel erfolgt die Information der Mieter über Preisstruktur, Stromherkunft und mögliche Zusatzangebote wie Ladeinfrastruktur. Für die vertragliche Gestaltung empfiehlt sich eine getrennte Stromliefervereinbarung, um energierechtliche und mietrechtliche Pflichten klar zu trennen.
Realisierung und Betrieb
Nach technischer Planung koordiniert der Fachplaner Netzanschluss, Modulmontage und Integration der Messsysteme. In München muss der vorgesehene Inbetriebnahmetermin spätestens zwei Wochen vorher angezeigt werden. Nach Installation prüft der Netzbetreiber die Schutzeinrichtungen und erteilt das Zertifikat für den Dauerbetrieb. Während des laufenden Betriebs sind quartalsweise Meldungen an das Hauptzollamt notwendig, sofern eine Stromsteuerbefreiung beansprucht wird. Monitoring-Verträge mit Echtzeitdaten helfen, Abweichungen im Ertrag frühzeitig zu erkennen und Wartungseinsätze optimiert zu steuern.
Praxisbeispiele aus Oberbayern
Büroimmobilie im Münchner Osten
120 kWp installierte Leistung, 78 % Eigenverbrauch durch Lastverschiebung in die Serverkühlung, Nebenkostenersparnis von 1,9 €/m² im Jahr.
Wohnensemble im Fünf-Seen-Land
60 kWp PV kombiniert mit Wärmepumpen und Batteriespeicher; Strompreis für Bewohner bei 28 ct/kWh und damit 8 ct unter Grundversorgung, Weiterempfehlungsquote der Mieter 93 % nach sechs Monaten.
Risiko- und Qualitätsmanagement
Neben statischer Nachweisführung und normkonformer Modulbefestigung verlangt die Bayerische Feuerungsverordnung den brandschutztechnischen Abstand von PV-Leitungen zu Fluchtwegen. Für Bauherren bedeutet das, bereits in der Planung Brandschutzgutachter sowie den Netzbetreiber einzubinden, um spätere Auflagen und Mehrkosten zu vermeiden. Ein weiterer Risikofaktor ist die Haftung für Ertragsausfälle. Leistungsversicherungen decken üblicherweise Module, Wechselrichter und Montagesysteme, jedoch nicht die entgangenen Mieterstromerlöse. Eine ergänzende Betriebsunterbrechungsversicherung schließt diese Lücke und stabilisiert die Cashflows in Wartungsphasen oder bei Netzausfällen. Qualitätsmanagement während der Bauphase umfasst Infrarot-Thermografie zur Detektion von Zellbrüchen, Stringprüfung und Dokumentation nach DIN EN 62446. Eine lückenlose Abnahmeprotokollierung wird von Förderbanken zunehmend als Voraussetzung für zinsgünstige Darlehen verlangt.
Steuerliche Einordnung und Bilanzierung
Ertragsteuerlich ist die PV-Anlage ein selbstständiges Wirtschaftsgut mit linearem AfA-Satz von 20 Jahren. Bauträger, die als Energieversorger auftreten, unterliegen zudem der Gewerbesteuer; eine erweiterte Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG greift nur, wenn die Stromlieferung neben der Wohnungsvermietung als Nebenleistung gilt und einen Bagatellrahmen von 10 % der Gesamterträge nicht überschreitet. Umsatzsteuerlich kann die Option zur Regelbesteuerung gewählt werden, um die Vorsteuer aus Investitionsgütern zu ziehen. In der Praxis wird anschließend häufig die Kleinunternehmerregelung nach § 19 UStG in Anspruch genommen; allerdings ist ein Wechsel frühestens nach fünf Jahren zulässig. Bei Contracting-Modellen verbleibt die Bilanzierungspflicht beim Contractor, was für kommunale Wohnungsbaugesellschaften Vorteile hinsichtlich der Verschuldungsquote bietet.
Digitale Betriebsführung und Schnittstellen
Smart Meter Gateways bilden das Bindeglied zur Marktkommunikation nach MaKo 2022. Sie erfassen Viertelstundenwerte und ermöglichen sowohl die Fernparametrierung von Wechselrichtern als auch die Regelung von Batteriespeichern. In der Praxis bewährt sich eine hierarchische Struktur: Anlagenregler aggregieren Strings, übertragen Rohdaten an das Gateway, das wiederum standardisierte EDIFACT-Nachrichten an den Lieferanten oder Direktvermarkter sendet. Offene Schnittstellen (Modbus/TCP, Sunspec) sichern Herstellerunabhängigkeit und erleichtern den Austausch defekter Komponenten. Für die Steuerung von Wärmepumpen und Ladepunkten hat sich das OpenADR-Protokoll etabliert, mit dem externe Preis- und Lastsignale in Echtzeit eingespielt werden. Betreiber sollten in den Wartungsverträgen feste Reaktionszeiten für Gateway-Störungen verankern, da nicht übermittelte Messwerte Pönalen im Bilanzkreismanagement auslösen können.
Synergien mit Wärmesystemen und Elektromobilität
Durch Kopplung mit Wärmepumpen lässt sich die Eigenverbrauchsquote typischerweise um 10 bis 15 Prozentpunkte steigern. Wärmepumpenhersteller bieten inzwischen PV-optimierte Betriebsmodi, bei denen der Verdichter erst bei ausreichender Solarproduktion in Vollast fährt. Für den bayerischen Heizwärmebedarf ist jedoch sicherzustellen, dass die Pufferspeicher ausreichend dimensioniert sind, um nächtliche Verbrauchsspitzen abzudecken. Bei Ladeinfrastruktur in Tiefgaragen empfiehlt sich ein Lastmanagement mit Prioritätsstufen: Feuerwehrstellplätze, Carsharing-Pools und Privatstellplätze werden nacheinander versorgt, sodass die Anschlussleistung am Netzverknüpfungspunkt nicht erhöht werden muss. Förderprogramme wie die bayerische „Ökostromerzeugung und Speicher“ gewähren Zuschüsse bis zu 200 € je kWh Batteriespeicher, wenn dieser mit Mieterstrom kombiniert wird.
Wechselwirkung mit der Quartiersentwicklung
In städtebaulichen Verträgen verlangen Kommunen zunehmend Energiekonzepte, die über einzelne Gebäude hinausgehen. Ein Zusammenschluss mehrerer Mehrfamilienhäuser zu einem Quartiersnetz erlaubt den Austausch von Überschussstrom und die bessere Ausnutzung gemeinsamer Speicher. Rechtlich ist dazu eine Kundenanlage nach § 3 Nr. 24a EnWG erforderlich, verbunden mit einer Netzentgeltbefreiung, solange keine Durchleitung Dritter erfolgt. Bei Planung eines solchen Quartiersnetzes ist der Erhalt einer Netzbetreiberbestätigung zur Nichtnetzeigenschaft unerlässlich, um spätere Streitigkeiten zu vermeiden. Für Bauunternehmen bietet sich die Chance, Infrastruktur wie Trafostationen, Leerohrtrassen und Datenleitungen bereits in der Erschließung zu integrieren und dadurch Kostenvorteile von bis zu 20 % gegenüber nachträglichen Maßnahmen zu realisieren.
Ausblick auf künftige Regulatorik
Die Novelle des Gebäudeenergiegesetzes sieht eine stufenweise Pflicht zur Nutzung erneuerbarer Energien auch bei Bestandsmodernisierungen vor. Ab 2026 sollen bei Dachsanierungen von Wohngebäuden über 400 m² Nutzfläche mindestens 30 % der verfügbaren Dachfläche für Photovoltaik genutzt werden. Gleichzeitig wird erwartet, dass der Bundesgesetzgeber die Umsatzgrenze für die Gewerbesteuer-Bagatellregelung auf 30 % anhebt, um Mieterstromprojekte administrativ zu entlasten. Für Betreiber empfiehlt es sich, Pacht-, Liefer- und Dienstleistungsverträge modular zu gestalten, damit zukünftige Anpassungen ohne langwierige Nachträge möglich sind. Investoren, die bis 2025 mit der Installation beginnen, sichern sich zudem noch den vollen Mieterstromzuschlag vor der erwarteten Degression.
Fazit: Mieterstromanlagen in bayerischen Mehrfamilienhäusern ermöglichen stabile Strompreise, erfüllen ESG-Vorgaben und steigern den Immobilienwert. Erfolgsfaktoren sind ein frühzeitiges Risikomanagement, eine steuerlich optimierte Struktur sowie digitale Schnittstellen für flexible Betriebsführung. Bauherren und Betreiber, die zusätzliche Synergien mit Wärmepumpen und Ladeinfrastruktur schaffen, maximieren den Eigenverbrauch und erhöhen die Rendite. Jetzt gilt es, die derzeit attraktiven Zuschläge und Förderkonditionen zu nutzen, bevor künftige Degressionen und strengere Vorgaben greifen.
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