Solartankstellen im Mehrfamilienhaus: Technik, Recht und Wirtschaftlichkeit
Marktdynamik und regulatorischer Kontext
Die Zulassungszahlen batterieelektrischer Fahrzeuge steigen, während Strompreise und CO₂-Bepreisung starken Schwankungen unterliegen. Eigentümerinnen und Eigentümer von Mehrfamilienhäusern im Raum München müssen deshalb Ladepunkte integrieren, ohne die vorhandene Netzanschlussleistung zu überfordern. Die Kombination aus Photovoltaik, Batteriespeicher und gesteuertem Laden – kurz Solartankstelle – gilt als bevorzugter Ansatz.
Mehrere Vorschriften greifen parallel:
- Gebäude-Elektromobilitätsinfrastruktur-Gesetz (GEIG): Leitungsinfrastruktur ab sechs Stellplätzen bei Neubau, ab zehn Stellplätzen bei Renovierung; jeder dritte Stellplatz vorzurüsten.
- Gebäudeenergiegesetz (GEG): Nachrüstpflicht für Photovoltaik bei Dachsanierung.
- Bayerische Bauordnung: Photovoltaikpflicht auf neuen Parkdecks und gewerblichen Dächern seit 2023.
- §§ 554 ff. Bürgerliches Gesetzbuch: Duldungspflicht des Vermieters für Wallboxen, eingeschränkte Umlagefähigkeit der Kosten.
Banken, Versicherer und internationale Investoren koppeln Finanzierungen zudem an Emissionsziele. Damit avanciert die Solartankstelle von einer technischen Option zu einem Bewertungsfaktor für Portfolien.
Technische Bausteine einer Solartankstelle
Photovoltaik und Batteriespeicher
Die PV-Anlage liefert tagsüber Gleichstrom, der durch Wechselrichter ins Hausnetz eingespeist wird. Ein Speicher von 30 – 100 kWh verschiebt Solarstrom in Zeitfenster hoher Ladebedarfe und minimiert Spitzenlasten. Anlagen erreichen bei sorgfältiger Auslegung bis zu 70 % Eigenverbrauchsanteil und senken Netzentgelte, weil die Maximallast des Hausanschlusses seltener überschritten wird.
Ladehardware und dynamisches Lastmanagement
Moderne Wallboxen sind über ein zentrales Lastmanagement vernetzt. Die Software verteilt verfügbare Leistung nach Fahrzeugzustand, Nutzergruppe oder Tarifzeitraum. Standardisierte Protokolle wie OCPP ermöglichen eichrechtskonforme Abrechnung mittels RFID oder App, ISO 15118 erlaubt eine Fahrzeug-zu-Ladestation-Authentifizierung ohne Zusatzkarte. So lässt sich beispielsweise ein Car-Sharing-Pool tagsüber bedienen, während private Stellplätze erst in den Abendstunden priorisiert werden.
Planung und Genehmigung
Standortprüfung
Eine Voruntersuchung umfasst Dachstatik, Belegung der Zählerplätze, Brandschutz- und Fluchtwege in Tiefgaragen sowie bestehende Leerrohre. Netzbetreiber im Großraum München verlangen ab 30 kW Anschlussleistung ein vereinfachtes, darüber hinaus ein reguläres Anschlussverfahren. Ab 100 kW ist ein Netz- und Anlagenschutz nach VDE-AR-N 4105 einzubauen.
Normen und Schnittstellen
Brandschutz in Parkhäusern folgt DIN 14095 für Rauchableitung; in geschlossenen Garagen ist häufig eine ATEX-Bewertung erforderlich, weil Batteriemodule Wasserstoff freisetzen können. Schnittstellenplanung koordiniert Dachdecker, Elektrofachbetrieb, Tiefbau und IT-Integration. Zeitkritisch ist die Abstimmung der Kabeltrassen, um Trockenbau- oder Estrichgewerke nicht zu verzögern.
Förder- und Geschäftsmodelle
Öffentliche Zuschüsse und steuerliche Hebel
Die KfW-Programme 442 (PV + Speicher + Wallbox) sowie 261/262 (gewerbliche EE-Investitionen) bieten Tilgungszuschüsse und vergünstigte Zinsen. Das bayerische Programm „10.000 Häuser“ fördert Stromspeicher zusätzlich. Einnahmen aus Direktstromlieferung an Mietparteien sind bei Mengen unter 100 000 kWh pro Jahr nicht genehmigungspflichtig nach Energiewirtschaftsrecht. Seit 2023 entfällt auf selbst verbrauchten PV-Strom im Mehrfamilienhaus die Umsatzsteuer gemäß § 12 Abs. 3 UStG.
Contracting und Mieterstrom
Fehlendes Eigenkapital kann durch Energie-Contracting überbrückt werden. Der Contractor errichtet und betreibt die Anlage, während die Mietparteien den Strom über einen festgelegten Tarif beziehen. Alternativ ermöglicht ein Mieterstrommodell dem Gebäudeeigentümer, als Anlagenbetreiber aufzutreten. Marktanalysen zeigen Renditespannen von fünf bis acht Prozent – abhängig von Förderquote, Strompreisindexierung und technischer Auslastung.
Anwendungsfelder in der Immobilienpraxis
Büro- und Mischobjekte
Unternehmen nutzen Ladepunkte als Mitarbeiter-Benefit und für Gästefahrzeuge. Ein PV-System von 100 kW mit 15 Ladepunkten spart laut aktuellen Studien rund 25 t CO₂ pro Jahr und verringert die Stromkosten eines typischen Fuhrparks um bis zu 40 %.
Premium-Wohnanlagen
In hochpreisigen Segmenten wird eine Stellplatz-Ladeinfrastruktur zur erwarteten Grundausstattung. Analyseergebnisse der Technischen Universität München zeigen, dass sich Kaltmieten um zwei bis drei Euro pro Quadratmeter erhöhen lassen, wenn komfortable Ladeoptionen angeboten werden.
Handel und Light-Industrial
Einzelhandel profitiert von längerer Kundenverweildauer, während Fertigungsbetriebe PV-Überschüsse zur Reduktion von Lastspitzen verwenden. Bidirektionales Laden ermöglicht es darüber hinaus, Fahrzeugbatterien als kurzfristigen Notstrompuffer einzusetzen, wodurch sich Amortisationszeiten unter sechs Jahren realisieren lassen.
Wirtschaftlichkeitsanalyse und Kostenstrukturen
Die Investitionskosten einer Solartankstelle setzen sich aus Photovoltaikmodulen, Wechselrichtern, Batteriespeicher, Ladehardware, Tiefbau und Projektmanagement zusammen. Im Großraum München liegen die spezifischen Gesamtkosten derzeit zwischen 1 450 und 1 650 € pro installiertem kWp, hinzu kommen 700 – 900 € pro kWh Speicherkapazität und 1 200 – 1 800 € pro normgerechter Wallbox. Für eine typische Wohnanlage mit 40 Stellplätzen bedeutet dies ein Kapitalbedarf von rund 280 000 € bei einer PV-Leistung von 80 kWp, 60 kWh Speicher und zehn Ladepunkten. Auf Basis eines konservativen Strompreisindex von 3 % p. a. und 70 % Eigenverbrauch ergeben sich interne Zinsfüße von 6–9 % nach Steuern, sofern die verfügbaren Fördermittel konsequent ausgeschöpft werden. Die Amortisationsdauer verkürzt sich stark, wenn Lastspitzen reduziert und Netzentgelt-Bausteine (Leistungspreis) gesenkt werden – in der Regel um 15–25 % der jährlichen Netzgebühren.
Betreibermodelle und Rollenverteilung
Projektträger können zwischen vier Grundvarianten wählen: Eigenbetrieb durch den Gebäudeeigentümer, Betrieb durch die Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG), Contracting mit einem Energieversorger oder eine Betreibergesellschaft nach GmbH & Co. KG-Recht. Eigenbetrieb bietet höchste Margen, verlangt jedoch Know-how in Energierecht und Buchhaltung. Ein WEG-Betrieb eignet sich, wenn Beschlüsse zur Kostenteilung vorliegen und ein professioneller Verwalter die kaufmännischen Prozesse abdeckt. Contracting reduziert Komplexität und Kapitaleinsatz, führt jedoch zu einer teilweisen Abgabe der Wertschöpfung. Eine separate Betreibergesellschaft trennt Risiken vom Kerngeschäft und vereinfacht den Eintritt externer Investoren – in Bayern bevorzugt von Family Offices zur Portfoliodiversifikation genutzt.
Messkonzept und Abrechnung
Die optimale Messkonfiguration kombiniert einen Summenzähler für die Erzeugungsanlage mit geeichten Unterzählern an jeder Wallbox. Damit lässt sich PV-Strom gegenüber Netzbezug eindeutig abgrenzen und nach Mieterstromgesetz privilegiert abrechnen. In München fordern Netzbetreiber bei mehr als vier Ladepunkten ein intelligentes Messsystem nach § 14a EnWG, um netzdienliche Steuerung zu ermöglichen. OCPP-Backends übernehmen die Tariflogik: PV-Überschuss wird zum reduzierten Preis, Netzstrom zum regulären Tarif fakturiert. Die Einspeisevergütung fließt direkt auf das Anlagenkonto, während Ladeumsätze nach kWh oder nach Zeitmodell verbucht werden können. Eine revisionssichere Datenhaltung ist Pflicht, da die Steuerbefreiung für selbst verbrauchten Strom nur bei lückenloser Dokumentation anerkannt wird.
Betrieb, Wartung und Lebensdauer
PV-Module besitzen eine lineare Leistungsgarantie von 25 bis 30 Jahren, Wechselrichter etwa 10–15 Jahre. Batteriespeicher erreichen bei 4 000–5 000 Vollzyklen eine realistische Nutzungsdauer von 12–15 Jahren. Wartungspläne umfassen jährliche Sicht- und Thermografiekontrollen, Funktionsprüfungen der Schutzgeräte nach DGUV V3, Firmware-Updates der Wallboxen und kapazitive Tests des Speichers. In Tiefgaragen ist eine halbjährliche Reinigung der Ladekabel-Abrollsysteme ratsam, um Kontaktkorrosion zu vermeiden. Über den Lebenszyklus verursachen Instandhaltung und Versicherung durchschnittlich 1,5 % der Investitionssumme pro Jahr. Ein digitalisiertes Asset-Management mit Störmeldungen in Echtzeit minimiert Ausfallzeiten und sichert Einnahmen.
Risikomanagement und Versicherung
Relevante Risiken betreffen Brandschutz, Haftpflicht, Ertragsausfall und Cybersecurity. Spezialisierte Versicherer in Bayern bieten All-Risk-Deckungen, die PV, Speicher und Ladepunkte als Gesamtanlage einschließen. Die Police sollte Schäden durch Überspannung, Vandalismus und Bedienfehler abdecken sowie eine Haftpflichtsumme von mindestens 5 Mio. € für Personenschäden vorsehen. Ein zusätzlicher Ertragsausfallschutz ersetzt entgangene Ladeumsätze während der Reparaturzeit. Durch Umsetzung der VdS-Richtlinie 3471 für Lithium-Ionen-Speichersysteme lassen sich Prämienzuschläge reduzieren. Cyber-Risiken werden eingedämmt, indem die Ladepunkte vom Hausnetz logisch getrennt und alle Backend-Updates signiert übertragen werden.
Zukunftsperspektiven und Skalierbarkeit
Mit der anstehenden Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes wird § 14a EnWG die steuerbare Verbrauchseinrichtung Ladepunkt stärker in Richtung netzdienlicher Flexibilität lenken. Betreiber, die sich bereits heute für ein dynamisches Lastmanagement mit offenen Schnittstellen entscheiden, können künftig Zusatzerlöse aus Netzdienstleistungen erzielen. Vehicle-to-Grid-Funktionen ermöglichen es, Strom aus E-Auto-Batterien temporär ins Hausnetz zurückzuspeisen, wodurch Spitzenlasten noch weiter sinken. In Pilotanlagen in Oberbayern wurden dadurch bis zu 20 % zusätzliche Netzentgelteinsparungen erzielt. Auch Wasserstoff-Ready-Speicher rücken näher an die Serientauglichkeit und könnten mittelfristig Langzeitspeicherfunktionen übernehmen. Diese Optionen erhöhen die Zukunftssicherheit der Solartankstelle und stärken die Wirtschaftlichkeit in einem von volatilen Strompreisen geprägten Marktumfeld.
Praxischeck: Entscheidungsleitfaden für Projektentwickler
Zu Beginn steht eine Machbarkeitsstudie, die Erzeugungs-, Speicher- und Ladeprofile analysiert und die Netzanschlussleistung verifiziert. Anschließend folgt das Genehmigungskonzept, das alle relevanten Normen – von VDE-AR-N 4105 bis DIN 18015-1 – abbildet. Ein Business-Case-Modell simuliert verschiedene Strompreis- und Auslastungsszenarien, um die optimale Systemgröße zu bestimmen. Die Vergabe der Gewerke erfolgt idealerweise in einem zweistufigen Verfahren: technisches Pre-Engineering, danach GU-Vergabe. Während der Realisierung sind eine Baubegleitende Qualitätssicherung und eine Inbetriebnahmeprüfung mit Leistungs- und Sicherheitsnachweis unverzichtbar. Schließlich gewährleistet ein Service Level Agreement mit Reaktionszeiten unter 24 h den störungsarmen Dauerbetrieb.
Case Study: Mehrfamilienhaus Giesing
In einem Münchner Bestand aus den 1990er-Jahren wurden 50 kWp PV, 40 kWh Lithium-Eisen-Phosphat-Speicher und acht 11-kW-Wallboxen umgesetzt. Durch Einbezug des KfW-Programms 442 sank die Eigenkapitalquote auf 45 %. Nach dem ersten Betriebsjahr lag der Eigenverbrauch bei 68 %, die Netzdurchleitungskosten reduzierten sich um 17 % und die CO₂-Bilanz verbesserte sich um 18 t. Die Mieterakzeptanz stieg deutlich, belegbar durch eine Vermietungsquote von 100 % trotz leicht erhöhter Warmmieten. Die Wirtschaftlichkeitsberechnung ergab eine amortisierte Investition nach 8,2 Jahren – ein Wert, der insbesondere durch das präzise Lastmanagement erreicht wurde.
Zusammenfassung betriebswirtschaftlicher Kennzahlen
• Levelized Cost of Energy (LCOE) für PV-Strom: 9–11 ct/kWh
• Gestehungskosten inkl. Speicher und Ladeinfrastruktur: 14–17 ct/kWh
• Verkaufspreis an Mieter: 25–30 ct/kWh (Stand 2024, München)
• Margenpotenzial: 8–12 ct/kWh
• Realistische Einsparung Netzentgelt: 90–120 € pro Ladepunkt und Jahr
• CO₂-Minderung: 0,5–0,6 kg pro kWh geladener Energie
Fazit
Eine Solartankstelle steigert den Immobilienwert, reduziert Betriebskosten und sichert regulatorische Compliance. Entscheider sollten eine belastbare Machbarkeitsstudie, ein transparentes Betreibermodell und ein zukunftsfähiges Lastmanagement priorisieren. Frühzeitige Abstimmung mit Netzbetreiber, Förderstellen und Versicherer verkürzt Projektlaufzeiten und minimiert Risiken.
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